Andreas Helle
Eine, meine, unsere Erinnerung
Goethe empfand bei der Erinnerung an den Ettersberg Glückseligkeit. Dem Häftling Jorge Semprun, eingesperrt im KZ Buchenwald am Ettersberg, retteten seine Goethe-Kenntnisse das Leben. Vergangenheit, beides. Von Goethe keine Spur, das Lager lange schon ein Trümmerfeld. Was will ich an diesem erloschenen Ort? Ich weiß es nicht. Selbstverständlich weiß ich es. Kann ich es aussprechen? Finde ich Bilder dafür? Vor dem Tor fühle ich Scheu. Ich weiß, dass die Erinnerungen, die mich dorthin ziehen, nicht meine sind. Das Gelände betrete ich suchend nach Spuren, die sich mit Angelesenem und Berichten Überlebender zu einem Bild fügen. Es ist wie im Sucher alter Kameras, in dem sich zwei unscharfe zu einem einzigen, scharfen Bild zusammenfügen. Und so fokussiere und ahne ich: der Schornstein hinter einem hohen Bretterzaun verrät das Krematorium. Kleine Steine auf Mauerresten versprechen den jüdischen Verstorbenen Unvergänglichkeit. Die Aufschrift auf einem Gedenkstein, die ein junger Mann mit Hingabe erneuert, erinnert an das Schicksal Tausender Menschen, die hier ihr Leben verloren. Buchenwald ist still. Was ich dort finde, ist geformte Erinnerung an Unmenschlichkeit. Eine Gedenkstätte, die fragt, wie das geschehen konnte, und was man tun muss, damit es nie wieder geschieht. Authentisches finde ich nicht. Wie es wirklich war im KZ Buchenwald, kann ich, der ich nicht dort war, nicht wissen. Goethe noch einmal, sein abgegriffenstes Zitat: "Hier bin ich Mensch ... " - eben nicht. Wissen und zeigen kann ich in Buchenwald, dass seine Geschichte nicht nur mich verstört. Der Ort ist ein Auftrag. An mich, an uns Nachgeborene.





